FRONTIER-Projekt "Schreiben im Holocaust"

Schriftsteller und Wissenschaftler im Getto Lodz/Litzmannstadt

Neben den bereits erwähnten Chronisten befanden sich auch zahlreiche weitere Schriftsteller, Journalisten und Wissenschaftler im Getto Lodz/Litzmannstadt. Im Rahmen des Projekts konnten inzwischen bereits einige bislang weitgehend unbekannte oder vergessene Autoren wiederentdeckt werden.

Einer systematischen Suche nach Namen folgten und folgen intensive Recherchen zu biographischen Daten und Werken der gefundenen Personen. So zum Beispiel zu Franziska Bloch-Mahler und Ludwig Ascher.

 

Franziska Bloch-Mahler (1884 im böhmischen Deutschbrod – 5. April 1942 in Lodz / Litzmannstadt)

Am 26.3.1935 erschien im offiziellen Organ der österreichischen Zionisten, der Wiener Zeitung Die Stimme, folgender Artikel²⁵:

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Franziska Bloch-Mahler wurde 1884 wahrscheinlich im böhmischen Deutschbrod, dem heutigen Havličkův Brod, geboren. Ihr Vater Albert Mahler war Kaufmann und ein Verwandter des Komponisten Gustav Mahler. Die Mutter Sofie, geb. Adler, besaß möglicherweise ein Spitzenatelier. Schon früh begann Franziska Mahler zu schreiben, machte jedoch zunächst eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. 1907 heiratete sie in Wien den Fabrikanten Jakob Bloch. Im mährischen Kremsier kam im Jahr darauf der Sohn Walter zur Welt.

Über das Leben von Bloch-Mahler ist bisher nur wenig bekannt. In den 30er Jahren wohnte sie in Wien in der Glockengasse 8a im 2. Bezirk. 1931 schrieb sie gelegentlich für die in Wien herausgegebene Stimme, für den 26. Januar 1930 ist eine Lesung in Wien belegt²⁶.

Offenbar war Bloch-Mahler schriftstellerisch außerordentlich produktiv und vermutlich auch recht populär. Unter dem Namen Franziska Bloch-Mahler verfasste sie unzählige Gedichte, Balladen, Operetten, Märchen, Theaterstücke, über 400 Balladen und zahlreiche Geschichten mit jüdischer Thematik.

In mehreren zeitgenössischen biographischen Lexika wird Bloch-Mahler ausführlich erwähnt. Neuere Nachschlagewerke erwähnen sie nur kurz und in der Regel mit fehlerhaften Angaben. So konnte etwa das in verschiedenen aktuellen biographischen Lexika angegebene Sterbejahr 1928²⁷ widerlegt werden.

Das umfangreiche Werk von Bloch-Mahler ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Lediglich in einer Handvoll Bibliotheken sind einzelne Texte zu finden. Die größte Sammlung befindet sich in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Sie umfasst vier Titel.

Am 16.10.1941 wurde Bloch-Mahler zusammen mit ihrem Sohn von Prag aus in das Getto Lodz/Litzmannstadt deportiert. In der Kartei des Gettos ist als Beruf „Schriftsteller“ angegeben. Zusammen mit ihrer Familie wurde sie in der Sulzfelder Straße 32 einquartiert. Am 1. April 1942 wurde ihr Sohn Walter deportiert und im nahe gelegenen Vernichtungslager Kulmhof ermordet. Nur vier Tage später starb Bloch-Mahler im Getto im Alter von 57 Jahren.

 

Prof. Dr. Ludwig (Louis) Ascher (26. Dezember 1865 in Posen – 24. Juni 1942 in Lodz / Litzmannstadt)

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Ludwig Ascher wurde 1865 in Posen geboren. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Die Familie stammte von sephardischen Juden ab, die im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben worden waren. Aschers Vater besaß in Posen einen kleinen Schuhladen.

Ludwig Ascher gelang der soziale Aufstieg. Er studierte Medizin in Berlin, Marburg und München und promovierte 1889 in Leipzig. Seine berufliche Laufbahn begann er in der westpreußischen Kleinstadt Neuenburg (dem heutigen Nowe / Polen) als praktischer Arzt. Anschließend arbeitete er im preußischen Bomst (dem heutigen Babimost / Polen) als Königlicher Kreiswundarzt, später wurde er Medizinalrat und Kreisarzt in Hamm, Berlin und Harburg.

Im Januar 1900 heiratete er Johanna Strauß, mit der er zwei Töchter bekam: Mathilde und Maria Anna. Während des Ersten Weltkrieges war er Polizeiarzt im von Deutschen besetzten Lüttich und Stadtarzt in Antwerpen. 1918 ging die Familie nach Frankfurt am Main, wo er eine Praxis betrieb.

Von 1920 bis 1933 unterrichtete Ascher an der Frankfurter Universität Soziale Hygiene und Arbeitsphysiologie. 1931 gründete er das Sozialhygienische Untersuchungsamt. Ascher veröffentliche zahlreiche Untersuchungen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge und Sozialhygiene, so u.a. zur schädlichen Wirkung von Rauch auf Atmungsorgane sowie zu den Wohnbedingungen von Arbeitern im ländlichen Raum. Ludwig Ascher genoss in Frankfurt hohes Ansehen. Nach seiner Pensionierung im Jahre 1931 lehrte er noch weiter an der Universität, bis er am 18. Januar 1933 offenbar unter dem Eindruck der politischen Entwicklung, seinen Lehrauftrag zurückgab. Danach engagierte er sich verstärkt in der liberalen jüdischen Gemeinde, 1939/40 war er deren Vorsitzender. Zudem war er seit Dezember 1938 Mitglied des Gründungsvorstands der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Bezirksstelle Hessen-Nassau.

1932 starb die jüngere Tochter Maria Anna. Die Aschers kümmerten sich daraufhin um deren 10 Monate alte Tochter. 1937 emigrierte diese mit ihrem Vater in die USA. Der älteren Tochter Mathilde war bereits im Jahr davor mit ihrer Familie die Auswanderung nach Palästina gelungen.

Im Dezember 1940 starb Aschers Ehefrau Johanna. Im September 1941 wurde Ascher aus seiner Wohnung im Frankfurter Westend vertrieben und musste in ein so genanntes Judenhaus in der Gaußstraße ziehen.

Nur wenige Wochen später, am 19. Oktober 1941, wurde Ascher von SA-Leuten verhaftet und zur Sammelstelle in der Großmarkthalle gebracht. Von dort wurde er mit dem ersten Deportationszug in das Getto Lodz/Litzmannstadt gebracht. Wenige Monate später fiel er den katastrophalen Lebensbedingungen im Getto zum Opfer. Das Gettoarchiv verzeichnete seinen Tod am 24. Juni 1942.²⁸

Werke (Auszug):

Die Ländlichen Arbeiter-Wohnungen in Preussen. Berlin, 1897.

Planmäßige Gesundheitsfürsorge für die Jugend bis zur Militärzeit. Berlin, 1913.

Die Rauch- und Geräuschplage vom sanitätspolizeilichen und zivilrechtlichen Standpunkt. Berlin, 1914.

Vorlesungen über ausgewählte Kapitel der sozialen Hygiene. Berlin, 1921.

Beiträge zur körperlichen Betätigung der arbeitenden Bevölkerung. Berlin, 1926.

Letzte Änderung: 01.11.2012
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