Sprache im Recht / Rechtslinguistik

Handbuch Sprache im Recht
Hg. von Felder, Ekkehard / Vogel, Friedemann
Berlin/Boston: de Gruyter
Reihe: Handbücher Sprachwissen (HSW) 12

Recht ist eine besonders einflussreiche Wissensdomäne in gegenwärtigen Gesellschaften (vgl. dazu das Forschungsnetzwerk »Sprache und Wissen«). Die Sprache des Rechts, die im Mittelpunkt meines Forschungsinteresses steht, prägt dabei unser Alltagsleben, unsere beruflichen Handlungsspielräume und den öffentlichen Sprachgebrauch in einem außerordentlichen Maße. Bedenkt man darüber hinaus die wirklichkeitskonstituierende Kraft der Sprache in allen gesellschaftlichen Feldern, in denen wir mit Rechtssprache konfrontiert werden, so kann der Einfluss dieser Sprachgebrauchsform gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der bei Humboldt so zentrale Begriff energeia zur Bezeichnung des Tätigkeitsaspekts in Sprache erlangt im Rechtskontext besondere Bedeutung (vgl. auch John R. Searle (1997): Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Hamburg). Denn „Recht ist in Sprache verfasst und ohne sie nicht zu haben. Die Verständigung darüber, was Recht und was rechtens ist, ist an das Medium der Sprache gebunden.“ (Lerch, Kent D. (2005): Die Sprache des Rechts. Bd. 3. Berlin u.a., S. V)

 

Das Forschungsfeld der Rechtslinguistik (das sich unter anderem mit Forensik, Formen der rechtlichen Interaktionen oder der sprachzeichengebundenen Rechtskommunikation befasst) umreißt das Handlungsfeld des Rechts aus sprachlicher Perspektive. Die Frage nach der Rolle der Sprache im Recht ist deshalb so zentral, weil in der Bestimmung von Normtextbedeutungen die eigentliche Rechtfertigung rechtsstaatlichen Handelns angelegt ist.

 

Im Zentrum der rechtslinguistischen Beschäftigung stehen unterschiedliche Erklärungsansätze der juristischen Bedeutungs- bzw. Normenkonstitution in Legislative, Exekutive und Judikative. Dabei wird induktiv Rechtsarbeit als institutionalisierte Form der Textarbeit beschrieben, bei der sowohl die textbasierte Fachwelt als auch die Lebenswelt (wie ist der Sachverhalt beschaffen?) im sprachlichen Zugriff erst konstituiert werden. Juristische Akteure konkretisieren in den jeweiligen historischen Situationen die aus Normtexten herzustellenden juristischen Normen in Bezug auf bestimmte Fälle. Sprachwissenschaftliche Ansätze können in Theorie und Methodik dazu beitragen, die sprachlichen Konstitutionsbedingungen rechtlicher Normgenese transparent zu machen und das Verständnis des sprachlich verfassten Rechtssystems zu verbessern.

Literatur
 

Felder, Ekkehard (2020) (zusammen mit Andreas Deutsch, Friedemann Vogel, Stefan Höfler, Christina Hörth, Aza Gleichmann, Janine Luth, Ina Pick, Hans Kudlich, Lars Bülow): Empathie im Recht. Bestellung eines unbearbeiteten Feldes. In: Jacob, Katharina/ Konerding, Klaus-Peter/Liebert, Wolf-Andreas (Hg.): Sprache und Empathie. Beiträge zur Grundlegung eines linguistischen Forschungsprogramms. Berlin/Boston, S. 333-376 (Sprache und Wissen Bd. 42).

Felder, Ekkehard (2018): Die Sprachlichkeit des Rechts: Semiose als Erklärungsmodell einer Werte-affinen und anpassungsfähigen Rechtsprechung. In: Deppermann, Arnulf/ Reineke, Silke (Hg.): Sprache im kommunikativen, interaktiven und kulturellen Kontext. Berlin/Boston: de Gruyter (Germanistische Sprachwissenschaft um 2020, Bd. 3), S. 269–294.

Felder, Ekkehard (2017): Legal Text and Pragmatics: Semantic Battles or the Power of the Declarative in Specialized Discourse. In: Pragmatics and Law: Practical and Theoretical Perspectives. Edited by Francesca Poggi and Alessandro Capone. Berlin u.a.: Springer Verlag (Perspectives in Philosophy, Pragmatics & Psychology. Vol 10), S. 165–192.

Felder, Ekkehard (2017): Pragmatik des Rechts: Rechtshandeln mit und in Sprache. In: Felder, Ekkehard/Vogel, Friedemann (Hg.): Handbuch Sprache im Recht. Berlin/Boston: de Gruyter (Handbücher Sprachwissen – HSW, Bd. 12), S. 45–66.

Felder, Ekkehard/ Luth, Janine/ Vogel, Friedemann (2016): ‚Patientenautonomie‘ und ‚Lebensschutz‘: Eine empirische Studie zu agonalen Zentren im Rechtsdiskurs über Sterbehilfe. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik (ZGL) 44.2016, S. 1–36.

Felder, Ekkehard (2015): Legal text and meaning – A linguistic perspective on a complex relationship. In: de Ville, Jacques (Ed.): Memory and Meaning: Lourens du Plessis and the Haunting of Justice. LexisNexis, S. 123–140.

Felder, Ekkehard/Vogel, Friedemann (2015): Sprache im Recht. In: Felder, Ekkehard/Gardt, Andreas (Hg.): Handbuch Sprache und Wissen. Berlin/Boston: de Gruyter (Handbücher Sprachwissen – HSW, Bd. 1), S. 358–372.

Felder, Ekkehard (2013): Juristische Fachsprache oder wie Bedeutung im Recht entsteht. In: Deutsch, Andreas (Hg.): Historische Rechtssprache des Deutschen. Heidelberg: Winter, S. 75–93 (Akademiekonferenzen Band 15).

Felder, Ekkehard (2013): Normtext und Bedeutung – Der sprachwissenschaftliche Blick auf ein schwieriges Verhältnis. In: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 04.2013, S. 482–490.

Felder, Ekkehard (2012): Unendliche Semiose im Recht als Garant der Rechtssicherheit. In. Bäcker, Carsten/Klatt, Matthias/Zucca-Soest, Sabrina (Hg.): Sprache – Recht – Gesellschaft. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 141–162.

Felder, Ekkehard (2011): Juristische Fachsprache. In: Cordes, Albrecht/Lück, Heiner/Werkmüller, Dieter/Schmidt-Wiegand, Ruth (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG). 14. Lieferung. Zweite, völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag, S. 1443–1449.

Felder, Ekkehard (2010): Semantische Kämpfe außerhalb und innerhalb des Rechts. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht. Heft 4/2010, S. 543–572.

Felder, Ekkehard (2003): Juristische Textarbeit im Spiegel der Öffentlichkeit. Berlin/New York: de Gruyter (Studia Linguistica Germanica, Bd. 70) [zugleich: Münster (Westf.), Univ., Habil.-Schrift, 2002].

Letzte Änderung: 09.09.2021
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