Wissen im Kontext: Sprache und Denken in Natur- und Lebenswissenschaften
In einem Forschungsverbund des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften (EZS) und des Heidelberg Center for Digital Humanities (HCDH) mit dem Field of Focus 1 (PD Dr. Meike Weis und Prof. Dr. Stefan Schönberg) und Field of Focus 2 (Prof. Dr. Michael Gertz) beschäftigen sich Dr. Maria Becker, Prof. Dr. Vahram Atayan, Prof. Dr. Bogdan Babych und Prof. Dr. Ekkehard Felder in der mehrsprachigen Linguistik mit dem Transfer medizinischen Wissens an Laien mit Hilfe Künstlicher Intelligenz. Das Projekt wird im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern gefördert.
PI der Germanistischen Linguistik:
Mitarbeiter in der Germanistik:
Bruno Brocai (Linguistik)
Zusammenfassung
Die gegenwärtige Gesellschaft ist eine von Wissensdiskursen dominierte Gesellschaft, die vor vielfältigen Herausforderungen steht. Zum einen besteht – nicht erst seit der Covid 19-Pandemie – ein erhöhtes Bedürfnis nach gesichertem Wissen, welches die Grundlage für Entscheidungen im (politischen und individuellen) Handeln darstellt. Zum anderen ist – nicht nur mit dem Aufkommen populistischer Bewegungen, sondern vor allem mit dem nicht reflektierten Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen und Deutungsweisen im digitalen Kontext – der Status der Wissenschaft und der in ihr agierenden Expertengruppen herausgefordert und nicht mehr uneingeschränkt in ihrem Expertenstatus akzeptiert.
Diesen Umstand gilt es vor allem in den sog. objektiven Wissenschaften zu fokussieren. Vor diesem Hintergrund lässt sich folgende Dichotomie konstatieren: Das Wissen in den Natur- und Lebenswissenschaften gilt z.T. als hermetisch verschlossen und nur Eingeweihten zugänglich, andererseits gehen wir gesellschaftspolitisch von einem mündigen zoon politikon aus, das solide Kenntnisse aus diesem Bereich für verantwortungsvolles Handeln benötigt. Auch auf der individuellen Ebene ist ein adäquater sprachlicher und kognitiver Zugang zu natur- und lebenswissenschaftlichen Erkenntnissen oft von zentraler Bedeutung (vgl. z.B. die Frage nach dem informed consent im Kontext medizinischer Behandlungen).
In diesem Kontext bedarf es einer systematischen Analyse des Wissenstransfers und der hermeneutischen Wissensverarbeitung in und durch die Gesellschaft. Solche Analysen erfordern jedoch eine enge Kollaboration zwischen linguistischer Fachkommunikationsforschung, Korpuslinguistik, Computerlinguistik und Informatik und einer sprachaffinen und an Vermittlung interessierten Natur- und Lebenswissenschaft. In unserem interdisziplinären Projektteam beabsichtigen wir daher, eine wiederverwendbaren und skalierbaren Forschungsinfrastruktur und einer Wissenstransferplattform zu realisieren, in der die Kooperation zwischen Fachwissenschaften und Linguistik unter Einsatz moderner Methoden der Informatik und des maschinellen Lernens eine effiziente Wissensübertragung erleichtern und z.T. erst ermöglichen soll.
Zielsetzung
Das Vorhaben verfolgt das Ziel, verschiedene Kommunikationskonstellationen in natur- und lebenswissenschaftlichen Diskursen auf ihre intra- und interdisziplinären Sprach- und Wissensvoraussetzungen zu untersuchen. Dabei soll durch eine Zusammenführung diskurs-, korpus- und computerlinguistischer Vorgehensweisen eine systematische wissenschaftliche Methode entwickelt werden, um unter Heranziehung des disziplinären Domänenwissens genau zu ermitteln, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten in explizit verbalisierten und vorausgesetzten Wissensbeständen sowie in den Sprachverwendungskonventionen in vier Typen von Kommunikationssituationen bestehen:
- intradisziplinärer Expertenkommunikation (also zum Beispiel zwischen zwei Radiologen),
- interdisziplinärer Expertenkommunikation (etwa zwischen einer Radiologin und einer Humangenetikerin),
- Kommunikation in der fachwissenschaftlichen Ausbildung (wie im Rahmen einer universitären Vorlesung)
- laienorientierten Kommunikation (zum Beispiel zwischen einer Ärztin und ihrem Patienten in der Sprechstunde oder bei der Visite)
Die Ergebnisse dieser Forschungsbemühungen sollen einen verbesserten Wissenstransfer ermöglichen bis hin zur Weiterentwicklung des Wissens in der breiten Gesellschaft im Sinne von Citizen Science.